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Gleichbehandlung von Versicherten

Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ist eine
Zusatzversorgungseinrichtung für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes
und hat die Aufgabe, den Arbeitnehmern der an der VBL beteiligten
Arbeitgeber im Wege privatrechtlicher Versicherung eine Alters-,
Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Diese
ergänzt die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das System
der Zusatzversorgung der VBL wird durch die Satzung der VBL näher
ausgestaltet. Nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtslage
hatte Anspruch auf eine betriebliche Versorgungs- bzw.
Versicherungsrente nur ein Arbeitnehmer, der eine Wartezeit von 60 sog.
Umlagemonaten erfüllte. Als Umlagemonat galt ein Kalendermonat, für den
der Arbeitgeber eine Umlage für mindestens einen Tag für laufendes
zusatzversorgungspflichtiges Entgelt entrichtet, d. h. nach der
Definition in der VBL-Satzung der Arbeitnehmer steuerpflichtigen
Arbeitslohn bezogen hat. Da das Mutterschaftsgeld steuerfrei gestellt
ist, wurden nach der alten Rechtslage für die Mutterschutzzeiten keine
Umlagen durch den Arbeitgeber gezahlt, mit der Folge, dass die Zeiten
des Mutterschutzes bei der Wartezeitberechnung keine Berücksichtigung
fanden. Dagegen wurden nach einer speziellen Anrechungsregel der Satzung
sämtliche Krankheitszeiten, in denen ein Arbeitnehmer gesetzliche
Lohnfortzahlung oder einen Krankengeldzuschuss nach den
tarifvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes erhalten hat,
als Umlagezeiten berücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin war als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes
über ihren Arbeitgeber bei der VBL versichert und befand sich im Jahre
1988 für rund drei Monate im gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz.
Die VBL lehnte in ihrem Fall einen Anspruch auf Betriebsrente mit der
Begründung ab, dass sie insgesamt nur 59 Umlagemonate angesammelt und
damit die Wartezeit nicht erreicht habe. Ihre Mutterschutzzeiten könnten
nicht als umlagefähige Zeiten angerechnet werden. Die daraufhin von der
Beschwerdeführerin erhobene Klage auf Feststellung, dass die VBL die
Mutterschutzzeiten zu berücksichtigen habe, blieb vor dem Amtsgericht
und in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht ohne Erfolg.

Die 3. Kammer des Ersten Senats der Bundesverfassungsgerichts hat
entschieden, dass die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen
Urteile gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung aus
Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen. Das Urteil des Landgerichts ist
aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin
zurückverwiesen worden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die VBL nimmt als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche
Aufgabe wahr. Ihre Satzung ist daher an die Beachtung des
Gleichheitsgrundrechts gebunden. Die in der Satzung geregelte
Nichtanrechnung von Mutterschutzzeiten als Umlagemonate für die
Zusatzversorgung der VBL statuiert eine Ungleichbehandlung von Müttern
in zweifacher Hinsicht. Zum einen werden Frauen mit Mutterschutzzeiten
gegenüber männlichen Arbeitnehmern ungleich behandelt, da deren
Erwerbsbiografien im öffentlichen Angestelltenverhältnis nicht durch die
gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Mutterschutzzeiten unterbrochen
wurden und auch nicht werden. Zum zweiten liegt eine Ungleichbehandlung
von Frauen in Mutterschutz hier auch gegenüber denjenigen männlichen und
weiblichen Versicherten vor, die Krankengeld und einen
Krankengeldzuschuss des Arbeitgebers erhalten. Da der Arbeitgeber in den
Zeiten der Lohnfortzahlung sowie des Bezugs eines Krankengeldzuschusses
auch Umlagen entrichtet, werden die Krankheitszeiten bei der Berechnung
der Zusatzversorgungsrente voll als umlagefähige Monate angerechnet. Für
den Mutterschutz findet sich keine entsprechende Regel.

Diese Ungleichbehandlung knüpft an das Geschlecht an. Sie ist nicht
durch zwingende Gründe gerechtfertigt. Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit
der Freistellung der Arbeitgeber von der Umlage für Mutterschutzzeiten
das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel einer tatsächlichen
Gleichstellung. Den Arbeitgebern soll der Anreiz, Frauen im gebärfähigen
Alter nicht zu beschäftigen, genommen werden. Diese Systementscheidung
darf aber nicht über daran anknüpfende Regelungen wie die der Satzung
der VBL zu Lasten von Müttern gehen. Der dem Gesetzgeber ebenso wie der
VBL eingeräumte Spielraum bei der Verteilung der Lasten des
Mutterschutzes rechtfertigt keine Diskriminierung von Müttern durch die
Hintertür. Es sind auch sonst keine sachlichen Gründe erkennbar, die
eine Benachteiligung von Müttern rechtfertigen könnten.

Der Verstoß gegen das geschlechtsbezogene Diskriminierungsgebot führt
dazu, dass die Beschwerdeführerin eine Anrechnung ihrer
Mutterschutzzeiten auf die Wartezeit im Rahmen der betrieblichen
Zusatzversorgung der VBL verlangen kann. Denn eine Gleichbehandlung von
Versicherten, die während ihrer Versicherungszeiten Mutterschutz in
Anspruch genommen haben, und denjenigen, für die während ihrer Krankheit
von ihren Arbeitgebern Umlagen entrichtet worden sind, lässt sich
nachträglich nur dadurch erreichen, dass die Mutterschutzzeiten als
Umlagezeiten berücksichtigt werden.

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom vom 28. April 2011
1 BvR 1409/10

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